Predigt, Sonntag, 16.02.25

Predigt, Sonntag, 16.02.25

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Predigt, Sonntag, 16.02.25

Predigt am Sonntag Septuagesimae - 16.02.2025, Predigttext: Pred 7,15-18

Gemeindehaus Markgröningen/Georgskirche Oberriexingen

Pfarrer Dr. Frank Dettinger


Liebe Gemeinde,

auch viele Nicht-Christen geben zu: In der Bibel kann man so einiges an Lebensweisheit finden. Die Bibel ist ein kluges Buch mit vielen guten Gedanken über unser menschliches Leben. Eine ganz besondere Stärke dabei ist: Wir finden in der Bibel immer wieder eine Weisheit, die mit der Realität des Lebens und dieser Welt zu tun hat. Vielleicht ist es das, was Christen und Nichtchristen gleichermaßen anziehend finden können: Eine Weisheit für das Leben, die unsere tatsächlichen Erfahrungen ernst nimmt. In unserem heutigen Predigttext geht es eben um tiefe Lebens-Weisheit. Ich lese aus dem Buch des Predigers – Prediger 7, die Verse 15-18:

 

15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. 16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. 17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. 18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

 

Liebe Gemeinde,

zur tiefen Weisheit gehört eigentlich immer Ehrlichkeit. Und schonungslos ehrlich ist das, was der Prediger hier schreibt: In seinem Leben hat der Prediger Folgendes beobachtet: „Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.“ Das Wort für „Gottloser“ im hebräischen Urtext kann man eigentlich viel anschaulicher übersetzen mit „Schurke“. Eine treffliche Beobachtung: Da gibt es jede Menge Schurken auf dieser Welt, die aber lange ungestört leben dürfen in ihrer Bosheit. Demgegenüber gibt es die Gerechten. Und das ist nun wirklich eine betrübliche Beobachtung: Der Gerechte geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit. Für diesen Gedanken – für diese ehrlich mitgeteilte Beobachtung des Predigers kennen wir vielleicht das ähnliche Sprichwort: „Der Ehrliche ist der Dumme.“ Man bemüht, man strengt sich an im Leben – und am Ende hat man doch keinen Erfolg, keine Belohnung. Man will die scheinbaren Gesetze der Welt nutzen, die doch lauten: Wenn du dich anstrengst, kommst du weit. Als ich noch Schüler war, hat meine Tante einmal zu mir gesagt: Das ist doch geschickt in der Schule: Du musst eben ein paar Stunden oder auch Tage auf eine Klassenarbeit lernen – und am Ende bekommst du dafür eine gute Note. Ich dachte damals: Das ist ein weiser Gedanke meiner Tante. Und ihre Aussage hat mich motiviert. Ich habe gelernt und tatsächlich hat das auch funktioniert: Je mehr Zeit und Energie ich in die Klassenarbeit investiert habe, umso besser waren die Noten. Und das hat mich natürlich weiter motiviert. Eines Tages aber, da kam unverhofft der Schock. Ich weiß es noch, weil ich wirklich getroffen war: Mit einer Englischarbeit, die ich intensiv vorbereitet hatte und mich im Stoff eigentlich sicher gefühlt hatte – mit dieser Englisch-Arbeit kam ich trotz des großen Aufwands überhaupt nicht zurecht. Die Note war im Keller. Der Frust war groß – nicht nur wegen der schlechten Note, sondern vor allem: Mein Frust war groß, weil mein Glaube in das Naturgesetz: „Streng dich an, dann hast du Erfolg“, erschüttert war.

Inzwischen weiß ich, dass nicht nur ich solche Erfahrungen im Leben machen musste. Man ist ja nicht allein mit dieser schmerzhaften Erfahrung. Das ist auch Teil des Erwachsenwerdens. Und: An dieser Stelle beginnt wohl die wahre Weisheit. Durch solche Erfahrungen, die kaum jemandem erspart bleiben, können wir klüger, weiser werden, eben weil wir nun erkennen: So manches im Leben hängt eben nicht von meiner Anstrengung, meinem Einsatz, meinem Willen ab. So manches, manchmal sogar sehr viel ist, sagen wir, Glück, Fügung, in der Sprache des Glaubens gesprochen, vielleicht Vorsehung. Schlichtweg ist das ein Reifungsprozess, den wir Menschen in unserer Lebensentwicklung machen können, wenn wir einsehen müssen, dass unser Ergehen nicht immer von unserem Tun abhängt. Ein Reifungsprozess – über so etwas kann man sich ja auch ein Stück weit freuen. Zu dieser Lebensreifung gehört dann: Dass man sich trotzdem wieder anstrengt. Und wieder erfährt: Das Anstrengen hilft ja doch auch wieder. Aber eben nicht immer – diese Naivität ist dann überwunden. Eigentlich ist das wichtig und auch schön, wenn man sich so entwickelt und ein Stück reifer und lebenserfahrener wird. Aber: Der Schmerz der bitteren Erfahrung ist dennoch der bleibende Stachel an dieser Sache. Gerade wenn es um Glaubensdinge geht, fühlt sich dieser Schmerz nämlich oft besonders heftig an. Dass die Schurken, die Ungerechten immer wieder lang und glücklich leben… und die Gerechten leiden. Dieser Stachel ist in der Bibel immer wieder Thema. Im Buch des Predigers genauso wie im Buch Hiob und auch so einige Psalmen reden davon. Schließlich ist es beim Glauben an Gott ganz ähnlich wie bei anderen Bereichen der menschlichen Entwicklung: Man kann auch im Glauben wachsen, reifer werden. Aber nicht schmerzfrei, nicht ohne Frustration, Ratlosigkeit, ja manchmal nicht ohne lange tränenreiche Nächte. Zu dieser schmerzlichen Reifung gehört manchmal, dass Menschen Gott schon angeklagt haben mit Psalm 22 und mit Jesus am Kreuz gefragt haben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wie soll man da reagieren, wenn man darüber schockiert ist, dass die Schurken dieser Welt Glück haben, während man selbst als Christ schwere Schicksalsschläge erfährt? Wie damit umgehen? Blicken wir noch einmal genauer auf den Predigttext. Denn unser heutiger Predigttext zeigt uns zwei Möglichkeiten, mit dieser schmerzlichen Erfahrung umzugehen.

Die erste Möglichkeit lautet: Den Mittelweg suchen. Das ist eine kluge Strategie, nach der erkannt wird, dass zu viel Ehrlichkeit, zu viel Gottesfürchtigkeit gar keinen so großen Vorteil bringt. Dann reduziere ich das eben ein Stück weit. Wobei auf der anderen Seite – ein bisschen Gottesfurcht, ein Stück Rechtschaffenheit sollte doch auch erhalten bleiben. Denn die Gottlosigkeit führt auch nicht immer und bei allen zum langen glücklichen Leben. Diesen Mittelweg beschreibt der Prediger so: „Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt.“ Sehr raffiniert können wir sagen. Da dürfte wenig schief gehen, wenn man die verschiedenen Wahrnehmungen aus dem Leben zusammenfasst und sich dann durchschlingelt: nicht allzu gerecht, aber auch nicht zu gottlos. Eine logische Antwort ist das. Aber vielleicht spüren wir auch: Die wirklich beste und letzte Antwort ist das vielleicht doch nicht. Denn der Kern des Problems wird für den Prediger mit diesem Plan eigentlich doch nicht getroffen. Der Kern des Problems – ja, was ist das tatsächlich? Ich glaube, es ist tatsächlich die gestörte Beziehung zu Gott, dieser so schmerzende Frust, das Unverständnis, dass Gott das so zulässt, dass die Schurken fröhlich vor sich hinleben und die Gerechten leiden müssen. Das kann den Glauben in Frage stellen – und dieses Kernproblem muss eigentlich gelöst werden. Wie kann ich Gott wieder neu vertrauen? Wie kann ich diesem Gott erneut die Hand geben, wenn ich ihn in so vielen Dingen in dieser Welt nicht verstehe? Ja, wie kann so ein gereifter, weiter entwickelter Glaube aussehen, um den es dann schließlich geht?

Der Prediger gibt uns in diesem Predigttext eine zweite Antwort, eine zweite Möglichkeit, mit dem schmerzlichen Unverständnis umzugehen. Und diese zweite Antwort beschreibt eben genau diesen reiferen, weiter entwickelten Glauben. Es ist eine überraschende Wendung, dass ganz am Ende plötzlich wieder die Rückkehr zu einem tiefen Vertrauen in Gott steht: Es heißt da: „denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.“ So heißt es jetzt ganz am Schluss. Da ist ein Vertrauen in Gott ausgedrückt. Und zwar ein Vertrauen, das all die Erfahrungen, dass der Gottlose manchmal lang und glücklich lebt und der Gottesfürchtige leiden muss, umgreift. Da ist ein Vertrauen wieder da, dass bei allem Unverständnis, bei allem Schmerz über diese Ungerechtigkeiten Gott doch am Ende der ist, der die Antworten hat. Das ist dann wirklich eine unglaubliche Entwicklung, eine tiefe Reifung, dass man nach ganz bitteren Erfahrungen Gott doch wieder zutraut, dass er Herr der Lage ist, obwohl wir manches nicht verstehen. Nach einer Erzählung hat einmal jemand in tiefer Not gesagt: „Ich werfe mich mit meinem ganzen Unverständnis Gott an den Hals.“ Ein anderer fragte zurück: „Warum das? Du kannst doch einen anderen Gott suchen – oder das Thema Gott ganz abhaken.“ Der erste erwiderte: „Nein, kann ich nicht. Er zieht mich zu sich. Trotz meines Widerwillens, den ich gegen ihn habe. Er zieht mich zu sich – und ich kenne keinen Ort, wo ich sonst hinkönnte. Er ist und bleibt mein Gott. Ich kann jetzt noch so vieles nicht verstehen. Aber ich spüre: er muss einen Grund haben, mir jetzt noch nicht zu antworten. Deshalb werfe ich mich an seinen Hals – zusammen mit meinem ganzen Unverständnis.“ Kann man in Gottes Armen Geborgenheit finden trotz so manch bitterer Erfahrung? – Die Person in dieser Erzählung meint: Ja. Aber wenn dies gelingt, dann ist es ohne Zweifel ein Geschenk Gottes. Ein Geschenk Gottes kann es sein, dass ich zu dem Punkt komme: Auch im Unverständnis kann ich ganz nah bei Gott sein, bei ihm zu Hause sein. Vielleicht sogar näher, als ich es je vorher war? Das wäre ein Glaube, der tief gereift ist, der sich entwickelt hat. Durch Schmerzen hindurch – aber hin zu dem noch gewisseren Gefühl: Hier gehöre ich hin. Gott schenke uns Weisheit immer wieder neu, seine Weisheit.

Amen.

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