Predigt, So., 31.09.2025

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Predigt, So., 31.09.2025

Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis, 31.08.25 Bartholomäuskirche Markgröningen - Predigttext: Hiob 23, 2.8-16  - Pfarrer Dr. Frank Dettinger

 Liebe Gemeinde,

es gibt Worte in der Bibel, die uns tief treffen – nicht weil sie schön und tröstlich klingen, sondern weil sie so ehrlich sind, so schmerzhaft ehrlich. Worte, die nicht glatt und fromm daherkommen, sondern rau, voller Klage, voller Fragen. Solche Worte hören wir heute aus dem Buch Hiob. Ich lese den Predigttext aus Hiob 23:

2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; Gottes Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. 8 Gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. 9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. 10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. 11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab 12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir. 13 Doch er hat's beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht's, wie er will. 14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. 15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. 16 Gott ist's, der mein Herz mutlos gemacht hat, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat;

 

Liebe Gemeinde,

wenn wir diese Worte hören, dann klingt es fast so, als würde jemand unter Wasser gedrückt, als würde er nach Luft schnappen, und doch wird er immer tiefer ins Wasser gezogen. Ein Mensch, der sich fühlt, als würde er ertrinken. Dieses Motiv begleitet Hiob – und das kann auch uns begleiten, wenn wir durch schwere Zeiten zu gehen haben. Das Gefühl: nicht mehr zu wissen, wo oben und unten ist, keine Luft mehr zu bekommen, zu rufen und keine Antwort zu hören.

Hiob ist eine biblische Person, die wir vielleicht lieber umgehen möchten. So unglaublich schwer ist seine Geschichte, zu dunkel sind seine Erfahrungen. Er war ein Mann, der alles hatte: Familie, Reichtum, Gesundheit, Ansehen. Und er verliert alles – in kürzester Zeit. Kinder, Besitz, schließlich auch seine Gesundheit. So berichtet das Buch Hiob. Übrig bleibt ein Mensch, der auf einem Aschehaufen sitzt, mit einer Scherbe sich seine Hautgeschwüre kratzt und kaum noch weiß, wie er weiterleben soll. Dann kommen seine Freunde, um ihn zu trösten. Aber statt Trost bekommt er Belehrungen: Du musst gesündigt haben, sonst wäre dir das nicht passiert. Gegen diese Vorwürfe wehrt sich Hiob aber. Er sagt: Ich habe Gott vertraut, und trotzdem ist mir das geschehen.

Nun, im 23. Kapitel, hören wir von Hiob, dass er Gott nicht finden kann. „Gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht.“ – Das ist nun nicht nur Hiob. Das können auch wir sein. Zeiten, in denen wir Gott suchen und er scheint nicht auffindbar. Ich bete und es fühlt sich an, als kämen meine Worte nicht über die Zimmerdecke hinaus. Ich sehne mich nach einer Antwort, nach Trost – und es bleibt still. Es ist, als ob ich im tiefen Wasser um mich schlage und keinen Halt finde. In der Krankheit, in der Trauer, nach Schicksalsschlägen – Hiob steht sinnbildlich für alle Menschen, die so empfinden wie er – und ich kann Hiob sein, wir können Hiob sein.

Hiob wagt es, Unglaubliches auszusprechen. Er wagt es, zu klagen. Das ist etwas, was verwundern kann. Als Menschen wollen wir oft stark wirken, positiv, „aufgeräumt“. Auch in der Kirche, im Glauben kann es die Tendenz geben, dass wir lieber die heiteren Lieder singen und die schweren Themen vermeiden. Aber die Bibel ist tatsächlich voller Klage. Die Psalmen sind voller Klage. Und auch Jesus hat am Kreuz geklagt – mit den Worten von Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Klage ist kein Zeichen von Unglauben. Klage ist vielmehr ein Ausdruck von Beziehung. Denn nur wer an Gott glaubt, nur wer an dieser Beziehung festhält, klagt zu ihm.

Hiob zeigt uns: Klagen dürfen wir. Mehr noch: Klagen gehört zum Glauben. Es ist wie in einer engen Beziehung zwischen zwei Menschen. Wenn wir enttäuscht werden, wenn wir leiden – dann ist das Richtige: Wir verschweigen das nicht, sondern bringen es zur Sprache. Auch wenn das Gespräch hart wird, auch wenn wir streiten – aber es zeigt doch, dass uns der andere wichtig ist. Schweigen, Gleichgültigkeit – das wäre das eigentliche Ende einer Beziehung.

So bleibt Hiob im Gespräch, auch wenn es ein schweres Gespräch ist. Er wirft Gott Fragen vor die Füße. Er ringt mit ihm. Er kann Gott nicht sehen, nicht spüren – und doch redet er zu ihm. Darin liegt schon ein Geheimnis des Glaubens: dass ich Gott nicht loslasse, auch wenn ich ihn nicht verstehe.

Ich denke dabei an eine Geschichte: Ein Kind im Schwimmbad klammert sich an den Vater oder die Mutter, die es ins tiefe Wasser mitgenommen haben. Das Kind schreit: „Ich gehe unter! Ich kann nicht im Tiefen sein!“ Die Eltern aber sagen: „Ich halte dich doch!“ Aber das Kind schlägt um sich, schreit, ringt, klammert sich noch fester. Es ist eine Szene voller Angst – und doch ist die Beziehung zu spüren. Das Kind klagt, schreit, kämpft – aber es klammert sich fest. Und gerade darin wird deutlich: Das Vertrauen ist nicht verloren. Ja, es ist sogar so: Der Vater oder die Mutter könnte dieses Kind niemals loslassen. Egal wie sehr das Kind strampelt und schreit – die Arme der Eltern bleiben fest. Genau das ist die Pointe dieses Bildes: Der Vater hält. Die Mutter hält. Immer.

Hiob ist tatsächlich mit diesem Kind vergleichbar. Er ringt mit Gott, er versteht ihn nicht. Aber er hält fest. Und eigentlich geht es noch tiefer: Gott hält ihn fest. Auch wenn Hiob das Gefühl hat, zu ertrinken, auch wenn er meint, keinen Boden unter den Füßen zu spüren – Gott lässt ihn nicht los.

Hiob sagt: „Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold.“ – Da blitzt ein Vertrauen auf, mitten in der Klage. Hiob ist überzeugt: Gott weiß um meinen Weg. Und am Ende wird dieser Weg nicht sinnlos sein. Zweifel und Vertrauen – sie mischen sich hier. So ist das immer wieder im menschlichen Leben. Wir sind nicht logisch – es gibt in unserem Inneren Zweifel und Vertrauen manchmal in einer Mischung, die wir selbst nicht richtig verstehen.

Und dann stehen wir im Leben manchmal vor einer Entscheidung. Es gibt zwei Wege, wenn wir Leid erleben, wenn wir Gott nicht verstehen: Der eine Weg ist, Gott loszulassen. Zu sagen: Es gibt ihn nicht, er ist mir egal. Das heißt wissenschaftlich: Das ist der Weg in den Atheismus. Und ja, ich kann diesen Weg auch verstehen. Wenn das Leid übermächtig wird, wenn die Fragen keine Antworten finden – da ist es naheliegend, zu sagen: Ich will mit Gott nichts mehr zu tun haben.

Der andere Weg ist der, den Hiob geht: im Gespräch zu bleiben. Gott anzuklagen, ihn zu befragen, ihn zu fordern. Es ist der Weg des Ringens. Manchmal ist es ein schmerzvoller Ringkampf, wie bei Jakob, der in der Nacht mit Gott ringt und verletzt aus diesem Kampf hervorgeht – und doch auch gesegnet. Wer mit Gott ringt, der zeigt: Ich will die Beziehung nicht aufgeben. Ich halte fest, auch wenn ich nicht alles verstehe. Oder noch besser: Ich strample und schlage um mich, aber in Wahrheit bin ich längst gehalten.

Manchmal, liebe Gemeinde, genau in diesem Ringen, genau da öffnet sich ein neuer Blick. Manchmal zeigt mir Gott, dass das Wertvollste gar nicht die Antwort auf meine Fragen ist. Sondern das Wertvollste ist, dass ich in Beziehung zu ihm bleibe. Dass ich getragen werde von der Nähe eines Gottes, den ich nicht immer begreife, aber der mich hält. Wie ein Vater oder eine Mutter, die ihr Kind im tiefen Wasser nicht loslassen können.

Es gibt Menschen, die berichten: Im tiefsten Leid, wo keine Antwort kam, wo auch keine Besserung in Sicht war, da haben sie plötzlich gespürt: Gott ist da. Nicht, indem er das Leid weggenommen hat, sondern indem er mitten im Leid an ihrer Seite war. Und diese Erfahrung – so paradox es klingt – kann zum Trost werden. Nicht, weil das Leid schön wird. Sondern weil die Beziehung zu Gott stärker ist als das Leid.

Hiob sagt: „Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht hat, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat.“ – Ja, Hiob schreckt nicht davor zurück, Gott selbst als Ursache seiner Angst zu benennen. Das ist mutig. Aber er sagt es zu Gott. Er bleibt im Gespräch. Und genau darin liegt schon die Hoffnung.

Liebe Gemeinde, vielleicht gibt es Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Vielleicht suchen wir nach Gott und spüren ihn nicht. Wir sind damit nicht die ersten. Hiob steht als Sinnbild für alle Menschen, die so empfinden wie er. Von Hiob darf ich lernen: Klagen ist erlaubt. Mehr noch: Klagen ist ein Teil des Glaubens. Denn in der Klage halte ich fest an der Beziehung zu Gott. Oder besser gesagt: In der Klage darf ich erfahren, dass er mich festhält, auch wenn ich selbst das Gefühl habe zu ertrinken.

Diese Beziehung trägt, weil Gott mich und diese Beziehung letztlich trägt – auch wenn ich nichts verstehe, auch wenn ich erschöpft und mutlos bin. Am Ende hat Gott Hiob doch wieder spüren lassen: Ich bin da. Auch im Dunkeln. Auch im Leid. Auch im Ringen. Und ich lasse dich nicht los.

Amen.

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